Ulrich Kriese: Hamburgs rot-grüne Regierung steht auf der Seite reicher Grundbesitzer

9. 05. 2021 | Der in der Hamburger Bürgerschaft derzeit behandelte Gesetzentwurf für ein eigenes Grundsteuermodell ist nichts anderes als eine beschönigte Übernahme des bayerischen Flächensteuermodells, urteilt Ulrich Kriese in diesem Gastbeitrag. Hamburgs Regierung stelle sich damit auf die Seite des urbanen Großgrundbesitzes.

Ulrich Kriese. Besonders stolz ist Finanzsenator Andreas Dressel darauf, aus seinem „Wohnlagenmodell“ die Bodenwertentwicklung „herausoperiert“ zu haben, obwohl diese schon in der neuen Bundesgrundsteuer keine große Rolle spielt. Ziel sei es gewesen, die Belastungsverschiebungen im Vergleich zur bisherigen, auf Werten von 1964 basierenden Grundsteuer möglichst gering zu halten. Das ist ihm gelungen, und doch ist die Bezeichnung „Wohnlagenmodell“ irreführend.

Aller Rhetorik entkleidet, übernimmt Hamburg die Flächensteuer originalgetreu aus Bayern. Weil für die Hamburger, erst recht die rot-grüne Wählerschaft, ein Copy-and-paste aus Bayern natürlich nicht geht, brauchte es einen wohlklingenden, vom Original ablenkenden Balkonanbau: den Zusatzfaktor Wohnlage.

Kaum Unterscheidung nach Wohnlagen

Dass die Senatsverwaltung für ihre Grundsteuer nur ganze zwei Wohnlagen kennt, nämlich eine „normale“ und eine „gute“, ist für die zweitgrößte Stadt Deutschlands schon mal fernab jeder Realität. Der Unterschied zum bayerischen Muttermodell besteht darin, dass „normale“ Lagen einen Rabatt von 25 Prozent erhalten – seltsamerweise nicht auf die Grundstücksfläche, hier läge der Bezug zur Lage nahe, sondern auf die Wohnfläche. Das ist praktisch der einzige Unterschied.

Das Hamburger Modell soll die bayerische Flächensteuer dem eigenen Publikum schmackhaft machen, ohne dass es jemand merkt. Jedoch verfehlt eine Flächensteuer zentrale verfassungsrechtliche Anforderungen, denn Flächengrößen als Bewertungsmaßstab können die Wertrelation von Grundstücken zueinander nicht realitätsgerecht abbilden.

Der Wohnlagenrabatt vermag dieses Defizit nicht zu füllen. Auch die Behauptung, wonach Infrastrukturkosten stadtweit mit vier Cent auf den Quadratmeter Grundstücksfläche und 50 Cent auf den Quadratmeter Wohnfläche korrekt abgegolten würden, überzeugt weder ökonomisch noch rechtlich.

Irreführende Argumente

Hamburgs Finanzsenator meint, eine bodenwertbezogene Grundsteuer würde zu einer „automatischen Steuererhöhung“ und zu einer Verdrängung von Haushalten aus hochpreisigen, innerstädtischen Lagen führen. Beides ist so irreführend wie schon die Modellbezeichnung.

Erstens bestimmt Hamburg mit dem Hebesatz selbst über die endgültige Höhe der Grundsteuer, hätte es also jederzeit in der Hand, auf Bodenwertsteigerungen entsprechend zu reagieren. Zweitens wohnt die Mehrheit der Hamburger in Mehrfamilienhäusern, nämlich in rund 80 Prozent aller Wohnungen.

Eine bodenwertbezogene Grundsteuer würde sich auf viele Haushalte verteilen und pro Haushalt entsprechend niedrig ausfallen. Dagegen zu sein dient nicht den ärmeren Haushalten, sondern den vergleichsweise wenigen Eigentümern der raren exklusiven Lagen und der an Bodenwertsteigerungen interessierten Immobilienwirtschaft, zu der die Hamburger Politik traditionell ein enges Verhältnis pflegt.

Die Leidtragenden sind die vielen Haushalte in den weniger attraktiven Lagen, die künftig im Verhältnis zum wirklichen Wert ihrer Grundstücke eine zu hohe Grundsteuer zahlen müssen, aber offenbar weder von SPD noch Grünen vertreten werden.

Würde Hamburg die neue Bundesgrundsteuer bei sich einführen, käme es in der Tendenz zu vergleichbaren Ungerechtigkeiten, bloß nicht ganz so konsequent. Mit der Abkehr vom Bundesmodell und Hinwendung zum Flächenmodell macht die Hamburger Regierungskoalition unmissverständlich deutlich, dass sie auf der Seite des urbanen Großgrundbesitzes steht.

Glückliche Immobilienlobby

Vermögende und die Immobilienlobby sind gegen eine Grundsteuer auf Basis realitätsnaher Immobilienwerte. Ihrer Ansicht nach würde damit eine verkappte, heimliche Vermögensteuer etabliert, die auf breiter Front zu nichts als Umverteilung führe.

Bei der Neuregelung der Grundsteuer auf Bundesebene im Jahr 2019 scheiterten sie zwar mit ihrer Maximalforderung nach einer reinen Flächensteuer. Doch ihr Narrativ verfing, bis hinein in sozialdemokratische Kreise.Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) machte es den Großen recht und wog alle anderen in Sicherheit:

„Wir etablieren also sehr praktische Verfahren, die sicherstellen, dass sich die großen Wertsteigerungen der letzten Jahrzehnte nicht in der Grundsteuer niederschlagen und es ungefähr so bleiben wird, wie es heute der Fall ist.“

So sprach Scholz vor dem Deutschen Bundestag. Sein Kniff: gemeindeweite Durchschnittsmieten und klein gerechnete Bodenwerte als nivellierende Faktoren.Eigentümer und Mieter in Stadtzentren, Villenvierteln und anderen Gunstlagen können sich entspannt zurücklehnen.

Sorgen machen müssen sich armutsgefährdete Großmütter und andere Haushalte in eher unattraktiver Lage. Gemessen an den wirklichen, vergleichsweise tiefen Werten ihrer Grundstücke und Wohnungen zahlen sie ab 2025 eine zu hohe Grundsteuer. Was man anderen erspart, stellt man ihnen in Rechnung. Nicht die Grundsteuer an sich, sondern die Grundsteuer nach Art des Hauses Scholz und jedwede Form einer Flächensteuer werden sich für so manchen kleinen Hausbesitzer als verkappte Vermögensteuer entpuppen. Die Flächensteuern wollen vier Bundesländer einführen: Bayern in Reinform und Hessen, Niedersachsen und Hamburg – siehe oben – mit Adaptionen, die vor allem der politischen Folklore dienen und von der Ungerechtigkeit des Leitprinzips, Besteuerung nach Flächengrößen, ablenken sollen.

Eine Bodenwertsteuer ist keine Vermögenssteuer

Im Prinzip liegen zwischen einer Vermögensteuer und einer Grundsteuer Welten. Im Unterschied zur Ersteren ist Letztere von allen zu leisten. Es zählt nicht subjektive, sondern objektive Leistungsfähigkeit. Freibeträge und Belastungen können bei einer Vermögensteuer geltend gemacht werden, bei einer Grundsteuer nicht.

Dementsprechend niedrig fällt sie normalerweise aus: Mit dem Hebesatz regulieren die Gemeinden, dass die Belastung im Promillebereich gehalten wird. Pro Jahr werden im Allgemeinen um die ein bis zwei Promille vom Verkehrswert des Grundstücks fällig – der Bruchteil eines üblichen Vermögensteuersatzes. Härtefallregeln sorgen dafür, dass wegen einer im Ausnahmefall nicht leistbaren Grundsteuer niemand sein Dach über dem Kopf verliert.

Verläuft die Besteuerung entlang aktueller Grundstückswerte, ist also sichergestellt, dass die Vermögensverteilung unangetastet bleibt. Wenn allerdings Besitzer der am wenigsten wertvollen Grundstücke überproportional viel Grundsteuer zahlen müssen, sieht es für sie anders aus.

In Baden-Württemberg wird die Grundsteuer künftig wertproportional und verteilungsneutral allein am Bodenwert bemessen, und auch hier schließlich bei circa einem bis zwei Promille vom Verkehrswert des Grundstücks liegen. Von Enteignung und Umverteilung kann also keine Rede sein.

Hinzu kommt: Bodenwerte entstehen nicht aus eigener Leistung, sondern aus öffentlichen und gemeinschaftlichen Anstrengungen. Da eine Vermögensteuer sinnvollerweise nur auf privat geschaffenes Vermögen abzielt, ist speziell eine Bodenwertsteuer definitiv von anderer Natur.

Ulrich Kriese ist Sprecher für Bau- und Siedlungspolitik des Naturschutzbundes und Mitbegründer der Reforminitiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“.

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