„Finanzielle Inklusion“, Code für Bargeldabschaffung in Entwicklungsländern, und was davon zu halten ist

13. 10. 2017 | Von Philip Mader.* | Nach mehr als 30 Jahren fehlt noch der Nachweis für eine armutslindernde Wirkung von Mikrofinanzen. Im Namen der Armutsbekämpfung wird aber mit „finanzieller Inklusion“ das Wachstum des Armutsfinanzmarkts weiter angekurbelt und die Abschaffung von Bargeld zugunsten privater Zahlungsdienste gefördert. Entwicklungspolitisch zweifelhaft, winken für Finanzindustrie und Regierungen neue Profite, Daten, und Formen sozialer Kontrolle.

Die internationale Gemeinschaft hat sich das Ziel der ‚finanziellen Inklusion‘ auf die Fahnen geschrieben mit einem Eifer, der an den Hype um Mikrokredite in den 2000er Jahren erinnert. Die Finanzielle Inkluson ersetzt zusehends die Mikrofinanz. Laut Weltbankpräsident Jim Yong Kim soll Finanzielle Inkluson ein „Schlüssel“ zur Armutsbekämpfung und Wohlstandsschaffung sein.

Als Hilfe zur Selbsthilfe durch den Markt gedacht, sind Mikrofinanzen zur Speerspitze einer breiteren Privatisierung und Finanzialisierung des globalen Armutsproblems geworden. Die globale Mikrofinanz-Industrie hat in mehr als 30 Jahren gezeigt, dass Finanzgeschäfte mit den Armen profitabel sein können. Weltweit arbeiten heute ungefähr 3.700 Mikrofinanzinstitute mit zirka 200 Millionen Kunden, von denen drei von vier Frauen sind. Das landläufige Bild von Graswurzel-BankerInnen trügt aber, denn von den etwa 100 Milliarden US-Dollar Kreditvolumen stammen drei Viertel von großen, kommerziellen Verleihern. Der durchschnittliche Zins liegt bei 35 Prozent.

In den vergangenen Jahren häufen sich Zweifel am Nutzen von Mikrofinanzen. Dazu beigetragen hat auch die tragische indische Mikrofinanzkrise im Jahr 2010, mit Dutzenden von Selbstmorden unter den überschuldeten Kreditnehmern. Vor allem aber ist die Forschungslage zur Wirkung von Mikrofinanzen zusehends enttäuschender. Seit 2009 liegen vermehrt Ergebnisse aus systematischen Überblickstudien und die Untersuchungen zufälliger Vergleichsgruppen (bei denen Kreditnehmer mit Nicht-Kreditnehmer systematisch verglichen werden) vor. Die meisten Studien liefern keinen Nachweis für höhere Einkommen oder höhere Nettovermögen; und dies obwohl Mikrofinanz-Kunden in der Regel mehr Geld in Kleinunternehmen oder produktive Vermögenswerte investieren. Einige Studien kommen zwar zum Ergebnis, dass Finanzdienstleistungen helfen, unerwartete Rückschlage besser zu verkraften, können aber nicht zeigen, dass es diesen Haushalten dadurch letztlich bessergeht. Vor allem was die einstmals stark betonte Frauenemanzipation betrifft, kommen die Studien zu sehr schwachen Ergebnissen. Eindeutig ist lediglich, dass Frauen mehr Geld sparen als Männer, und dass der Zugang zu Spar-Diensten ihnen ermöglicht, das Geld vor Familienmitgliedern und Bekannten zu „schützen“. Ob das Emanzipation ist oder letztlich nur eine Feminisierung von Verantwortung, ist unklar.

Same same, but different

Die Ergebnisse, die in der Summe gemischt, aber gemessen an den großen Versprechungen enttäuschend sind, haben trotz allem keinen Sinneswandel ausgelöst. Im Gegenteil: Mit Finanzielle Inkluson wird das Versprechen der Mikrofinanzen, Armutslinderung durch Finanzwerkzeuge zu schaffen, neu aufgelegt und bestärkt. Es geht noch immer um Kredite, aber auch um digitalen Zahlungsverkehr. Rhetorisch werden alte, für die Mikrofinanz nicht mehr haltbare, Versprechen neu belebt. Es geht nicht mehr nur um Mikrofinanzen, sondern darum, möglichst alle Armen mit allen Finanzprodukten zu erreichen – im Fachjargon die „volle“ oder „totale finanzielle Inklusion“. Dabei sind prinzipiell alle zweckdienlichen Akteure erwünscht, vom staatlichen Kreditprogramm bis hin zu kommerziellen Banken, „Payday“- Pfandleihern und globalen Finanzdienstleistern; Hauptsache sie verkaufen Finanzdienste an einkommensschwache Schichten.

Undurchsichtige digitale Allianzen …

Der Schlüssel, der alle Armen endlich „bankable“ (bankierbar) machen soll, sind digitale Systeme, allen voran „mobile monies“ (das Handy als Geldbörse). Das bekannteste solche Modell ist der kenianische Bezahldienst M-PESA, 2007 von Vodafone gegründet, und aus dem britischen Entwicklungsetat anschubfinanziert. Solche Dienste gibt es inzwischen mehr als Länder auf der Welt, doch nur die Wenigsten setzen sich durch; deshalb üben Konzerne zunehmend Druck auf Regierungen aus, ihnen dieses Geschäftsfeld zu erschließen. Unter dem Dach einer G20-Initiative wurde die Allianz für Finanzielle Inklusion (AFI), ein Dialogforum für politische Entscheider und Behörden aus 90 Ländern, geschaffen. Mit Geldern von der Bill und Melinda Gates-Stiftung gegründet und 2011 mit einer G20-Erklärung zur strategischen Wichtigkeit der Finanzielle Inkluson gestärkt, hat die AFI inzwischen auch Mastercard, Visa and Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA) und weitere Unternehmen aufgenommen.

2012 wurde zudem die Better than Cash Alliance (BTCA) gegründet, als Lobbygruppe, um staatliche Zahlungen an Bürger zu digitalisieren, damit die Inklusion der „unbanked“ („Nichtbankierten“) angetrieben wird. Dem UN-System angegliedert, präsentiert sich die BTCA als „globale öffentlich-private Partnerschaft“ aus Stiftungen, Finanzdienstleistern und Entwicklungsorganisationen. Sowohl AFI als auch BTCA werden von der Gates-Stiftung und vom Omidyar- Netzwerk (ON) finanziert; ON ist nach ihrem Schöpfer Pierre Omidyar, dem eBay- und Paypal-Gründer, benannt und versteht sich als „philanthropische Investmentfirma“. Die Forscherinnen Daniela Gabor und Sally Brooks charakterisieren das gesamte Amalgam aus Groβkapital und Regierungen als schwer durchschaubaren aber wirkungsvollen „Komplex“ aus Finanzmarkt- Spender- und Entwicklungsinteressen.

…mit durchsichtigen Interessen

Millionen alltägliche Transaktionen generieren geldwerte Daten. In Ländern mit schwachem Datenschutz sind sie eine Goldgrube, sowohl zum Verkauf, als auch um Kunden genauer zu analysieren und differenzierender zu bepreisen.

Digitale Zahlungssysteme sollen darüber hinaus durch hohe Transparenz den Durchbruch bei der Korruptionsbekämpfung bringen. Das hängt aber vom politischen Willen ab und dürfte in der Praxis eher kleine Schmiergelder als systemische Korruption angehen. Staaten könnten auch den informellen Sektor illegalisieren oder besteuern, und zudem die Empfänger von Sozialtransfers genauer überwachen wollen.

Bemerkenswert ist, wie unhinterfragt sich diese Agenda seit der Weltfinanzkrise durchgesetzt hat: Als Entwicklungshilfe garniert werden unverhüllt neue Marktchancen für die mächtigsten Akteure der Finanzindustrie gesucht.

 

* Dr. Philip Mader ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Master-Studiengangsleiter am Institute of Development Studies in Brighton, Großbritannien. Für seine Doktorarbeit zu Mikrofinanzen wurden ihm die Otto-Hahn-Medaille und der Deutsche Studienpreis verliehen.

Eine längere Version dieses Beitrags mit Fußnoten ist in Forum Umwelt & Entwicklung nachzulesen. Der holprige Titel stammt von N.H. [13.10.2017]

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